Bibeltext
Der Lobgesang der Maria (Lk 1,46-55)
46 Meine Seele erhebt den Herrn,
47 und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes,
48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
49 Denn er hat große Dinge an mir getan,
der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
50 Und seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen,
die ihn fürchten.
51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut,
die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er gedenkt der Barmherzigkeit
und hilft seinem Diener Israel auf;
55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham
und seinen Nachkommen in Ewigkeit.
barth-Predigt 1962
Doppelte Adventsbotschaft (Lk 1,53)
Eingangsgebet
Herr, unser lieber Gott! Du heißest uns warten und eilen im Blick auf den großen Tag deiner vollkommenen, deiner erlösenden Erscheinung in der Welt, unter uns Menschen, in deiner Gemeinde, auch in unseren Herzen, auch in unserem Leben. Wir blicken nicht ins Leere, wenn wir diesem Tag des ewigen Lichtes entgegenblicken. Hast du ihn doch schon anbrechen lassen, indem du als das schwache und allmächtige Kindlein Jesus geboren und unser Mitmensch wurdest. Und nun dürfen wir bald wieder Weihnacht feiern im Gedenken an diesen Anbruch deines großen Tages.
Laß es zu — nein, hilf uns dazu, schenke es uns, daß wir uns an diesem letzten Sonntag im Advent noch einmal richtig sammeln, besinnen und darauf prüfen, wie wir dir, da es ja an deinem Kommen schon jetzt nicht fehlt, entgegengehen sollen, damit nachher unsere Weihnachtsfeier kein unfruchtbares Theater, sondern eine helle, ernste und frohe Begegnung mit dir sein möge!
Wir haben es nötig, zu solchem vorweihnachtlichen Bedenken aufgerüttelt und in Bewegung gesetzt zu werden. Aber eben das kannst im Ernst nur du selbst uns verschaffen. So bitten wir dich, uns auch in dieser Stunde nicht allein zu lassen, sondern in deiner Kraft gegenwärtig zu sein. Wir rufen dich an mit den Worten, die du uns durch deinen Sohn selbst auf die Lippen gelegt hast: Unser Vater …!
„Hungrige hat er mit Gütern gefüllt und Reiche leer hinweggeschickt.“
Meine lieben Brüder!
Ich habe in der vergangenen Woche in der wohl Manchem von euch bekannten Migros-Zeitung «Wir Brückenbauer» in einer Reportage unter dem Titel «Weihnacht der Sträflinge» (übrigens unmittelbar hinter einem von mir selbst geschriebenen Weihnachtsartikel!) den Satz gelesen: «Das Fest der Liebe und des Friedens — es will nicht so recht ins Zuchthaus passen.» Was man dann weiter las, war zwar sehr rührend, aber ganz ohnmächtig, und ich bin froh, daß ihr mich hier nicht so kläglich anschaut wie die Gefangenen, die dort abgebildet sind. Gegen jenen Satz muß man protestieren. Ich bin nicht so ganz sicher, ob das Weihnachtsfest ins Münster oder in die Engelgaßkapelle paßt, wo es von den besseren Leuten gefeiert wird. Wohl aber bin ich ganz sicher, daß es hierher und also ins Zuchthaus paßt. So war es gut, daß ich meinen Text für diesen Sonntag schon vorher gewählt hatte. Hört ihn noch einmal: «Hungrige hat er mit Gütern erfüllt und Reiche leer hinweggeschickt.»
Er hat das getan: Er, der sich seines Volkes Israel und mit ihm der ganzen Erde angenommen hat — unverdientermaßen, aus lauter Güte! Er, der den Bund, den er mit dem Menschen ge- schlossen, treulich halten und erfüllen wollte! Er, der seine große Liebe zu der von ihm ge- schaffenen Welt nicht nur in Worten ausgesprochen, sondern kräftig ins Werk gesetzt hat! Er, der mitten in unserem Dunkel sein Licht aufgehen ließ! Er, der Allem, was lebt, eine ewige Hoffnung gegeben hat! Er hat das getan, indem er in der Stadt und im Stall von Bethlehem selber ein Menschensohn, ein Menschenkindlein, unsereiner wurde. Er hat das getan. Es heißt nicht, daß er das tun wolle und werde, sondern daß er das schon getan hat. Paß also gut auf: Bist du ein Hungriger, dann hat er dich schon mit Gütern erfüllt! Bist du ein Reicher, dann hat er dich schon leer hinweggeschickt. So ging es nämlich dort zu, so wurde, als das Kindlein Jesus geboren wurde, entschieden und geschieden. So wurde da erwählt und also Ja gesagt und Nein, geliebt und gehaßt, angenommen und verworfen. Hungrige wurden da mit Gütern erfüllt, und Reiche wurden da leer hinweggeschickt. Und das ist die doppelte Adventsbotschaft, die da laut wurde und bis heute laut ist, daß den Hungrigen und den Reichen von Gott eben das widerfahren ist.
Hungrige — was sind das für Leute? Ein Hungriger ist offenbar Einer, dem das Nötigste fehlt: nicht irgend etwas Nettes und Schönes, das er doch allenfalls auch entbehren könnte, sondern das Nötigste, das er nicht entbehren kann. Und nun hat er keine Mittel und Wege, um es sich zu verschaffen. Nun kann es mit ihm nur noch abwärts, nur dem Tod entgegengehen. Nun hungert er. Nun muß er befürchten, verhungern zu müssen.
Das ihm Nötigste mag ein Stück Brot sein und ein Teller Suppe, oder, wie für so Viele in Asien, ein paar Hände voll Reis. Bilder von hungernden Frauen und Kindern in Indien, Algerien oder Sizilien habt ihr wohl alle schon gesehen. Vielleicht hat der Eine oder Andere von euch auch schon einmal so gehungert? Ich denke aber: im Augenblick, solange ihr in diesem Hause seid, ist das nicht euer Problem. — Das Nötigste, das einem Menschen fehlen kann, mag aber auch einfach ein Leben sein, das er des Lebens wert findet. Was er aber sieht, das ist ein verpfuschtes, ein verlorenes und verdorbenes Leben. Nun hungert er. — Das Nötigste, was ihm fehlt, könnte auch einfach ein bißchen Freude sein. Er sieht sich um und findet nichts, gar nichts, was ihm wirklich Freude machen könnnte. So hungert er. — Das Nötigste könnte schlicht darin bestehen, daß ihn Jemand so richtig lieb hätte. Aber da ist Niemand, der ihn lieb haben mag. So hungert er. — Wie, wenn das Nötigste, das ihm fehlt, ein gutes Gewissen wäre? Wer möchte und müßte nicht ein gutes Gewissen haben? Wie aber, wenn Einer nur eben ein schlechtes Gewissen haben kann? Dann kann er nur hungern. — Das ihm Nötigste könnte dies sein, daß er irgend einer Sache ganz sicher sein dürfte. Aber da sind lauter Zweifel in ihm, und irgendwo droht ihm Verzweiflung. So hungert er. — Und es dürfte doch das ihm Allernötigste dies sein, mit Gott in Ordnung zu kommen. Aber was er von Gott bisher gehört hat, das hat ihm nichts gesagt, damit konnte er nichts anfangen, davon wollte er wohl auch nichts wissen. Und jetzt hungert er gerade in dieser wichtigsten Sache.
Von solchen Hungrigen hören wir jetzt: Er hat sie mit Gütern gefüllt. Er hat ihnen also nicht nur so ein «Trösterli» gegeben, nicht nur so ein «Mümpfeli», nicht nur so ein billiges oder auch teures Weihnachtsgeschenk, nicht nur so etwas wie die Brosamen, die von des Herrn Tische fielen [vgl. Mt. 15, 27], wie der arme Lazarus sie bekam [Lk. 16, 21]. Nein, er hat sie gespeist und getränkt und erfreut bis genug. Er hat, wie es in einem unserer Lieder heißt, «vom Himmel mit Strömen der Liebe geregnet». Er hat aus ihnen, den Allerärmsten, Allerreichste gemacht. Er hat das damit getan, daß er ihr Bruder wurde und also selber ein Hungernder, der mit ihnen und für sie geschrieen hat: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» [Mk. 15, 34]. Er stellte sich nämlich an ihre Seite und stellte sie an die seinige, um ihre Schwachheit, ihre ganze Verkehrtheit, ihre ganze Sünde und ihr ganzes Elend von ihnen weg und auf sich zu nehmen. Er ist auf seine eigenen Kosten für sie eingetreten gegen den Teufel, gegen den Tod, gegen Alles, was ihr Leben traurig, böse und finster macht. Er hat das alles von ihnen weg und auf sich genommen, um ihnen dafür das Seinige zu geben: die Herrlichkeit, die Ehre, die Freude der Kinder Gottes. Er ließ den Hungrigen wie jenen sündigen Zöllner aus dem Tempel herab in sein Haus gehen als einen ganz und gar Gerechten [vgl. Lk. 18, 14]. Er erhob ihn wie jenen armen Lazarus als einen wahren Heiligen in den Schoß des heiligen Vaters Abraham [vgl. Lk. 16, 22]. Er berief ihn in seinen Dienst wie damals den Petrus, nachdem er eine ganze Nacht vergeblich auf Fischfang ausgezogen war [vgl. Lk. 5, 5.11]. Er hieß ihn als verlorenen Sohn im Vaterhaus willkommen: nicht mit dem vernichtenden Blick eines strengen Schulmeisters, sondern, wie es in der Geschichte jenes Sohnes ausdrücklich erwähnt wird: mit schallender Musik und indem er das gemästete Kalb für ihn schlachten ließ [vgl. Lk. 15, 22f.].
Das hat er alles uns getan,
sein groß‘ Lieb zu zeigen an.
Des freu‘ sich alle Christenheit
und dank ihm des in Ewigkeit!
Was ist das für eine Gesellschaft: die «Christenheit»? Nichts Anderes als die Gemeinde der Hungrigen, die sich darüber freuen und dafür danken dürfen, daß Gott sie mit Gütern erfüllt hat. Warum gerade sie? Nur eben darum, weil sie Hungrige und Verlorene sind und weil er gekommen ist, zu suchen und zu retten, was verloren ist [vgl. Lk. 19, 10]!
Wer aber mögen die Reichen sein, von denen nun weiter die Rede ist? «Reiche»: wenn wir dieses Wort hören, dann denken wir wohl zuerst an Leute, die einen Haufen Aktien haben, ein großes Bankkonto, ein schönes Haus hier in Basel oder in der Nähe, mit echten alten und modernen Gemälden an den Wänden, dazu wahrscheinlich auch ein Ferienhaus am Vierwaldstättersee oder im Tessin, vielleicht auch einen tollen Mercedes und einen teuersten Fernseh-Apparat und was andere lustige Sachen dieser Art sein mögen. Haben sie daran wirklich genug, halten sie sich dadurch für getröstet und gesichert, halten sie das für den Sinn des Lebens, Solches zu suchen, zu haben und zu genießen, dann gehören sie allerdings auch zu den Reichen, die hier gemeint sind.
Reiche in dem hier gemeinten Sinn sind aber wirklich nicht nur sie, sondern mit oder ohne Bankkonto und dergleichen Alle, welche mit ihrer Weisheit und Macht das Leben meinen meistern zu können: wie man heute sagt, «in Griff» zu haben. Reiche in dem Sinn, der hier gemeint ist, sind Alle, die sich selbst für klug und weise, für feine Kerle halten [vgl. Röm. 12, 16] — Alle, die sich, wie der Pharisäer im Tempel, «selber zutrauen, gerecht zu sein» [Lk. 18, 9] — Alle, die Gott meinen dafür danken zu sollen, daß sie nicht seien wie diese und jene Spitzbuben, die vielmehr von Gutem, das sie getan haben und noch tun, nicht wenig meinen melden zu können [vgl. Lk. 18, 11f.] — alle die, die mit dem Anspruch herumlaufen, daß Gott und die Menschen eigentlich so richtig mit ihnen zufrieden sein müßten. Das sind die Reichen, die hier gemeint sind.
Und eben von ihnen heißt es nun: Er hat sie leer hinweggeschickt. Die armen Reichen! Er hat ihnen nichts Böses getan. Er hat ihnen nicht einmal etwas genommen von ihren Reichtümern. Er hat ihnen aber auch nichts Gutes erwiesen. Er hat sie nur eben weggeschickt, wie einer weggeschickt wird, der eine falsche Telephonnummer gewählt hat oder auf der Straße an eine falsche Adresse geraten ist. Er ließ sie nur eben mit Sack und Pack stehen und gehen. Er fand sie nur eben nicht interessant. Er konnte sie nur eben nicht brauchen. Er hatte ihnen — den armen Reichen! — nur eben nichts zu sagen und nichts zu geben. Ja, so war es damals: daß, was im Stall von Bethlehem geschah, diese Reichen einfach nichts anging. Und so ist es bis auf diesen Tag, daß die Weihnacht diese Reichen nicht froh machen kann. Man kann schon sagen: das Fest der Liebe und des Friedens paßt eben nicht zu ihnen. Die armen Reichen, die am letzten Adventssonntag nur eben das zu hören bekommen dürfen!
Aber damit, meine Brüder, sind wir mit der doppelten Adventsbotschaft noch nicht fertig, sondern ich bitte euch herzlich, zu merken, zu bedenken und zu Herzen zu nehmen, was da weiter zu beachten ist.
Zum Ersten: Nicht alle scheinbar Hungrigen sind wirklich Hungrige. Man kann auch im größten Elend, man kann auch als Schwerkranker, man kann auch im Gefängnis ein «Heimlichfeister» sein. Mit sich selbst nur allzu zufriedene, frisch und froh ihrer selbst nur zu sichere Leute gibt es auch am Rande des Todes, auch in den tiefsten Löchern, in denen Menschen sich befinden mögen. Auch da genug solche, die sich selbst zutrauen, gerecht zu sein! Es gibt da sogar etwas ganz Schlimmes: Man kann nämlich auch kokettieren mit seinem Elend und fast mit Genuß bekennen und feststellen, daß man eben ein armer, verlorener Sünder sei. Es gibt nicht nur gewöhnliche Pharisäer. Es gibt — ich bin solchen schon begegnet — auch pharisäische Zöllner. Gott hat auch sie, wie jämmerlich sie sich gebärden mögen und wie wohl es ihnen im Grunde dabei sein mag, längst leer hinweggeschickt, und alle Engel des Himmels halten sich auch vor ihnen nur eben die Augen zu. Nur scheinbar Hungrige dürfen sich denn auch nicht wundern, wenn die Weihnacht ihnen nichts sagt und bringt. Sie hat eben nur den wirklich Hungrigen etwas zu sagen und zu bringen.
Zum Zweiten: Es ist nun doch so, daß die armen Reichen aller Sorten zwar so tun, aber doch nur so tun können, als ob sie Reiche wären, während in Wirklichkeit auch sie bitter arm sind. Sie lügen mit ihrem Reichtum sich selbst, Gott und den anderen Leuten etwas vor, was nicht ist. Denn in Wahrheit wird kein Mensch satt durch das, was er selbst ist und hat: ob es nun sein Bankkonto oder sein Mercedes oder seine Rechtschaffenheit und seine Frömmigkeit sei. In Wahrheit ist Keiner sein eigener Meister, Keiner seines Glückes Schmied und wie die Ausdrücke alle lauten mögen, Keiner sein eigener Heiland. Indem er so tut, als ob er so etwas wäre, und solange er das tut, ist er Gott nur eben verächtlich, ist er ein solcher, den er damals, im Erweis seiner größten Güte gegen das ganze Menschengeschlecht nur eben übergangen, leer hinweggeschickt hat. Solange er das tut, kann er nur zusehen, wie er Andere, die Hungrigen, mit Gütern füllt, kann er auch keine fröhliche Weihnacht feiern, haben die Engel für ihn umsonst gesungen.
Zum Dritten: Es gibt also schon eine Hoffnung auch für die vorläufig hinweggeschickten Reichen aller Sorten. Der arme Reiche sollte eben nicht so tun, als ob nicht auch ihm das Nötigste fehlte, als ob nicht auch er ein Hungriger wäre. Er müßte nur erkennen und beken- nen, daß auch er gar nicht klug, weise und fein, sondern allen Ernstes ein sehr unerfreuliches, unbrauchbares und elendes Geschöpf ist. Er müßte sich nur offen und ehrlich neben den Zöllner — den echten Zöllner natürlich, nicht jenen unechten! — stellen: dorthin, wo dann auch der Heiland direkt neben ihm steht. Er sollte also nur noch das wissen und wahrhaben wollen: Gott sei mir Sünder gnädig! [Lk. 18, 13]. Mit einem Schlag würde und wäre dann Alles anders. Kein armer Reicher wäre er dann mehr, sondern ein reicher Armer — Einer von denen, von denen es im Evangelium heißt: Selig ihr Armen! [Lk. 6, 20]. Mit Gütern gefüllt wäre dann auch er. Hören und vernehmen würde er dann, was der Engel den Hirten sagte: «Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll. Denn euch ist heute der Heiland geboren!» [Lk. 2, 10 f.]. Und einstimmen dürfte er dann in den Lobpreis der ganzen himmlischen Heerscharen: «Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens!» [Lk. 2, 14]. — wißt ihr übrigens, welches das sichere Kennzeichen dafür ist, daß Einer ein von seiner Lüge befreiter, wirklich hungriger und darum schon mit Gütern gefüllter Mensch, ein reicher Armer ist? Ein solcher wird ein Herz und eine Hand haben für die anderen Hungrigen aller Arten. Ihn wird es z.B. nicht nur ein bißchen, sondern ganz unmittelbar angehen, daß es in Indien, Algerien, Sizilien und anderswo Millio- nen gibt, denen es an Brot, Suppe und Reis fehlt. Ihr Problem wird dann doch auch sein eigenes sein. Er wird dann in diesen Menschen seine Brüder und Schwestern erkennen und dem- entsprechend handeln. Indem er das täte, dürfte und würde er auch für sich selbst fröhliche Weihnacht feiern.
Und nun ergeht sie also an uns alle: die Einladung eben zur Weihnachtsfeier. Siehe, Ich komme bald! [Apk. 22, 7.12], sagt der Herr — der Herr Jesus Christus, der Herr Zebaoth, neben dem kein anderer Gott ist — und fährt fort: «Kommt her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!» [Mt. 11, 28]. —
Die ihr arm seid und elende,
kommt herbei,
füllet frei
eures Glaubens Hände.
Hier sind alle guten Gaben
und das Gold, da ihr sollt
euer Herz mit laben!
Kommt als die, die ihr seid, als wirklich Hungrige! Tut also nicht, als ob ihr nicht solche wäret! Und jetzt können wir den betrübten Satz, den ich am Anfang erwähnte, aufnehmen und auf den Kopf stellen: In ein Haus, in welchem die Mühseligen und Beladenen, die Armen und Elenden, die wirklich Hungrigen wohnen — und also in ein Haus wie das, in dem wir uns hier befinden — paßt so recht das Weihnachtsfest. Nur in ein solches Haus! Aber in ein solches ganz sicher! Amen.
Abschlussgebet
Herr, unser Herrscher und Heiland! Nun laß uns ohne falsche Einbildungen, sondern aufgeschlossen für dein Wort, deine Zusage, dein Gebot in die Feiertage hinübergehen. Unsere Klagen und Fragen, unsere Fehler und Irrtümer, unsere Unsicherheit und unser Trotz werden uns auch in diesen Tagen zu schaffen machen und dir noch mehr. Aber du willst und wirst uns auch in diesen Tagen annehmen und aufnehmen, wie wir sind, wirst Ja zu uns sagen, wenn wir nur Hungrige und ja keine Reichen sein wollen.
Mit der Bitte um diese allen Menschen so nötige Erkenntnis treten wir vor dir ein — für alle Betrübten, Ratlosen, Verwirrten: in diesem Haus, in unserer Stadt, in unserem Land, auf der ganzen Erde — für die Kranken und Geisteskranken in ihren Kliniken und für ihre Ärzte, Pfleger und Pflegerinnen — für die Lehrer und für die großen und kleinen Kinder in unseren Schulen — für unsere Behörden, für unsere Politiker und Zeitungsschreiber — für die christlichen Kirchen hier und überall: daß doch das Evangelium von deiner freien Gnade unter den Katholiken — und ganz neu und erst recht unter uns Protestanten — immer klarer und freudiger verkündigt und das Salz werden möchte, das die Erde so nötig hat.
Und nun laß uns eine gute Weihnacht haben: über ihre vergänglichen Lichter hinaus nach vorwärts blicken, dem vollen Aufgang deines ewigen Lichtes entgegen! Amen.
Die Predigt wurde am 23. Dezember 1962 in der Strafanstalt Basel gehalten.
aus: Karl Barth, GA, Bd. 12: Predigten 1954-1967, hg. v. Hinrich Stoevesandt, Zürich 1979, 211-219 (Fußnoten wurden nicht übernommen)